HOME Vorwort Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Schlußrede Literatur
 

Kapitel 4.

Im Rachen des Drachen

 

Waren Sie schon mal in einer Stadt, wo man Atombomben herstellt? Wir gelangten in eine solche Stadt - in die Stadt Osersk, in der sich das Kombinat „Majak befindet“, in dessen Besitzungen, in den unterirdischen und oberirdischen Lagern sich bis zu zwei Milliarden Curie der Atomabfälle befinden , und im umgebenden Raum der Luft, des Wassers und im Grund die Strahlung herrscht. Wir sind hierher um unserer Landsleute willen gekommen, weil wir davon wussten, dass dieser Ort der gefährlichste von der Strahlung infizierte Ort in der ganzen Welt ist, da das Gericht zwischen der Verwaltung und den durch die Strahlung betroffenen Tataren ausgerechnet in dieser Stadt statt finden sollte. Und bei diesem Gericht auf der Seite der Verteidigung des betroffenen Volkes traten wir auf– ich als Mitglied des Executivkomitees des Weltkongresses der Tataren und die Juristin des Kongresses, Anwältin Rosa Fardiewa.

Doch wie lange Sie auch nach dieser Stadt auf den Karten Russlands suchen, nirgends werden Sie sie entdecken, obwohl sie schon mehr als ein halbes Jahrhundert existiert. Zuerst trug sie den Codenamen „Der zehnte Platz“, dann „Der Briefkasten-21“, wonach sie in „Tscheljabinsk – 40“ (im Volk „Vierziger“) umbenannt wurde, und später nannte man sie „Tscheljabinsk – 65“. Und erst 1994 bekommt sie einen offiziellen Namen - die Stadt Osersk. Der Bau dieser jungen Stadt und des Kombinats „Majak“ begann im verhältnismäßig unweiten Jahr 1946 im Wald, in den versumpften Orten am Fuß der Uralberge. Hier wurde ein wahrhaftig bisher ungesehener Bau in Gang gebracht. Warum sollte man das für die Atombombe notwendige Plutonium ausgerechnet hier geheim herstellen? Die Spezialisten erklären es nur mit dem Vorhandensein der reichen Wasservorräte. Wir denken, dass es auch andere wesentliche Gründe gibt. Der Hauptgrund ist wahrscheinlich mit dem Uranerz verbunden. Das Plutonium erwirbt man auf dem künstlichen Weg aus dem Uran, und das Uran kommt in der Natur nicht so oft vor. In der damaligen Sowjetunion wurde das Uran, z. B., zuerst aus Tadschikistan gebracht, und nach dem Grossen Vaterländischen Krieg wurde es aus Ostdeutschland und der Tschechoslowakei geliefert. Doch damit die Atomreaktoren rund um die Uhr arbeiteten, um die größte Anzahl der Atomwaffen in der Welt herzustellen, wäre es wünschenswert, eigenes Uran zu haben. Und hier, d.h. am Fuß der Uralberge, wurden, wahrscheinlich, Vorkommen der notwendigen Uranerze gefunden. Es hat später zum Bau hier eines Atomkombinats geführt.

Natürlich hat auch der Umstand seine Rolle gespielt, dass bei der möglichen katastrophalen Explosion kein bemerkenswerter Schaden der Hauptstadt und anderen strategischen Punkten, die in anderen Regionen in der sicheren Entfernung liegen, zugefügt würde. Nicht unwesentlich bei dem Bau eines Kombinates des Todes war, natürlich, die Tatsache, dass es hier genug Arbeitskräfte gab, fleißig und bereit, jede beliebige schwere Arbeit hochwertig zu machen. Diese Arbeitskräfte wohnten in den tatarischen Dörfern...

Mit dem Anfang des Baues der Atomreaktoren, sollte die ganze hiesige Bevölkerung von der Fläche mit Radius 100 Werst, in die sicheren Orte umgesiedelt werden. Aber die Verwaltung gab sich keine Mühe, sich mit den Umsiedlungproblemen zu beschäftigen, es wurden nur Unzuverlässige und Vorbestrafte ausgewiesen. Auf solche Weise, wurden aus diesen Orten auf der anderen Seite vom Ural bei Slatoust und Jurüsan1161 Familien ausgewiesen, d. h, 2939 Menschen, unter denen 746 Kinder bis zu 16 Jahren waren. Die Tschekisten des NKWD (Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten) haben sie in wenigen Stunden aus den Häusern ohne jegliche Sachen hinausgeworfen und, in dreihundert Eisenbahnwaggons geladen, befördert und irgendwo hinter den Bergen hinausgeworfen. Diese Operation leitete der General I.M.Tkatschenko persönlich - einer der eifrigen Henker von Beria, der in den Jahren des Krieges die Krim-Tataren und der Tschetscheno-Inguschen aus ihren Heimatländern in die Fremde deportierte... Der Weg zum Atom war mit den Tränen der Menschen und mit ihren Knochen gepflastert.

Die Neue Stadt wird an der Stelle der alten Siedlung gebaut und schon 1947, nach dem Beschluss des Ministerrates der UdSSR zur geschlossenen Zone erklärt. Sie wird vom stacheligen Draht umgeben, es werden Wachttürme errichtet und bewaffnete Posten der Wache aufgestellt. Hier werden der Fischfang, die Jagd, Beeren- und Pilzesuchen verboten. Und alle, die man bei dieser Beschäftigung erwischt, erwartet Gefängnis... Bis 1954 werden hier sogar die Wahlen nicht durchgeführt, angeblich damit feindliche Spione die genaue Anzahl hiesiger Bevölkerung nach der Anzahl der Wähler nicht errechnen konnten. Aus diesem Grund wurden bis 1956 auch keine Demonstrationen (am 1.Mai und 7.November – A.T.) durchgeführt. Die ganze hiesige Macht war in den Händen „Der Dienste Berias", d. h. in den Händen der Tschekisten. Einige Male wurde dieses Objekt von Beria besucht, und in erster Linie interessierte ihn der Verlauf des Erschaffens des Atomreaktors, aber nicht die Probleme des Stadtbaus und das Leben der Menschen. Stalin hat es eilig mit dem Schaffen der ersten sowjetischen Atombombe, deshalb, ungeachtet des Nachkriegsruins im Land gab es alles Notwendige für den Bau des „Majak”. Für die Arbeit auf diesem Objekt waren Zehntausende Soldaten und Häftlinge und auch zivile Spezialisten aus verschiedenen Orten des Landes eingesetzt. Es waren hunderte Waggons mit den Baumaterialien, dem Metall und der Ausrüstung hierher gebracht worden.

Endlich beginnt am 19. Juni 1949 in der UdSSR der erste industrielle Atomreaktor zu arbeiten. Diese „feine” Arbeit leitet „der Vater der Atomwissenschaft“ das Akademiemitglied Kurtschatow. Auf solche Weise, wurde das Erhalten des Plutoniums aus dem Uran auf dem industriellen Weg für die zukünftige Atombombe möglich: das hungrige, bettelarme, kalte Land wirft alle seinen Kräfte in den Atomkessel... Das Land, wahnsinnig geworden, stellt sich auf den Weg des Schaffens der tückischen und mächtigen Waffen. Diese Arbeit wird als strenges staatliches Geheimnis bewahrt, deshalb wusste das Volk nichts über die Unfälle, die hier oft passierten. Dadurch, werden für das Schaffen des mythischen „Atomschildes“ für das Land, die auf dem Kombinat arbeitenden und die in seiner Umgebung lebenden Menschen geopfert. Bald wird am 29. August 1949 in den kasachischen Steppen unweit von Semipalatinsk die erste sowjetische Atombombe erprobt. Die Freude Stalins, Berias und der Atomwissenschaftler war grenzenlos und sie begannen sich stürmisch zu umarmen und küssen, ohne abzuwarten, bis sich die Atomwolke zerstreut. .. Später kostet diese Semipalatinsker Explosion das Leben und die Gesundheit Tausender und sogar Millionen sowjetischer Menschen: sie erkranken am Krebs, an der Herzinsuffizienz und sterben wie Fliegen... Doch die Politik, das Militär, die Atomwissenschaftler, können sich selbst betrügen, dass es angeblich mit dem Ziel „des Schutzes des Vaterlandes vor der Atombedrohung“ gemacht worden war, sie können uns von der Notwendigkeit dieser unzähligen Opfer des Volkes nicht überzeugen... Gleich nach dem ersten Reaktor im „Majak” ist 1950 der zweite Reaktor an die Reihe gekommen, und in demselben Jahr startete der dritte, vierte, der fünfte Atomreaktor und 1952 der sechste Reaktor. Und wie viel Geld, wie viel Uranerz, wie viel Arbeitskräfte wurden dafür benötigt! Außerdem geschieht auf dem Kombinat fast täglich ein Produktionsunfall nach dem anderen, die Umgebung wird durch die Atomabfälle verpestet, infolge dessen Dutzende dreißig bis vierzigjähriger Spezialisten umkommen... Nach jedem Unfall sucht man die Spuren der Diversionen, unschuldige Menschen werden in die Gefängnisse geworfen, indem man eigene Arbeiter opfert, damit die Atomgeheimnisse gesichert sind... So schreiben darüber die Veteranen der Arbeit, die im „Majak“ arbeiteten:

 „In der Presse werden nur drei Strahlungsunfälle auf „Majak“ beschrieben. Die Liste der Verwaltung von „Majak“ verzeichnet zig Strahlungsunfälle. Erscheint es Ihnen nicht seltsam, dass dabei Tausende strahlungskrank sind? Die Anzahl der Strahlungsunfälle stimmt mit der Anzahl der Betroffenen nicht überein. In Wirklichkeit sind nur auf dem Chemiewerk-235 Hunderte der Strahlungsunfälle mit den schweren Folgen passiert. Darunter war auch eine spontane Kettenreaktion“.

(Der Brief des Veterans des „Majak” V.S. Sladkows, der fast 50 Jahre auf dem Chemiewerk-235 arbeitete) - (Wladislaw Larin. „Kombinat „Majak “ - das Problem für Jahrhunderte“. Moskau, 2001).

Doch der schrecklichste und stärkste Unfall auf dem „Majak” ist am 29. September 1957 geschehen. Darüber sagte man niemandem etwas bis zum Anfang der neunziger Jahre und sogar am Anfang der Perestrojka wusste das Volk wenig über diesen ungeheuren Unfall. Wie es aus den offiziellen Nachrichten lautet, ist am 29. September 1957 in Kombinat „Majak“ ein Lager mit den radioaktiven Abfällen explodiert. Aber nach den heutigen Erklärungen einiger Spezialisten, ist damals eine atom-nukleare Explosion geschehen. Ob es eine zufällige Explosion war oder ein speziell vorbereiteter Test einer Atombombe, wissen offenbar nur auserwählte Menschen. Doch, wie dem auch sei, waren die Folgen des Unfalls - jener Explosion - katastrophal. Die Atomwolke ist bis zu einem Kilometer in die Höhe gestiegen und hat mehrere Tausende Kilometer der Fläche um das Majak” verpestet Nach der Explosion stand über den Uralbergen das Atomwetterleuchten, und nichts ahnende Menschen standen und sahen sie sich an… Die Explosion war um fünf Uhr abends geschehen: der klare Himmel hat sich plötzlich verdunkelt, die Stadt verhüllte sich in einem schwarzen Nebel. Hunderte von Wachhunden heulten, wobei sie auf den Himmel schauten, und die Vögel haben ihren Gesang für lange Zeit unterbrochen... Und auf die Köpfe von den zu lange stehen gebliebenen Menschen fielen radioaktive Reste und der infizierte Staub... Bald erkrankten diese Menschen und starben an der Strahlenkrankheit...

Nach den Angaben der Wissenschaftler war die Atomexplosion 1957 im „Majak” und die von ihm herbeigerufene Verbreitung der radioaktiven Reste viel stärker und bedeutender nach seinem Umfang, als die Katastrophe in Tschernobyl. So wird dieses Ereignis von damaligen Zeugen des Geschehens beschrieben:

„Die Leistung der Explosion war wirklich riesig. Sie wird in 70100 Tonnen Trinitrotoluol gerechnet... Die Explosion hat einen Behälter aus rostfreiem Stahl, der sich im Betonkanyon in der Tiefe von 8,2 Meter vollständig zerstört. Die Betonplatte der Überdeckung mit dem Gewicht von 160 Tonnen wurde von der Stelle abgerissen und flog 25 Meter zur Seite. Die zerfetzten Blätter des rostfreien Stahls, aus denen der Tank geschweißt war, waren im Radius von 150 Meter vom Hypozentrum der Explosion verstreut.

(Wladislaw Larin. Kombinat „Majak“ - das Problem für Jahrhunderte. - Moskau, 2001, - S.43).

Am meisten hat durch diese Explosion die Stadt Osersk gelitten.

Die Bäume in den umliegenden Wäldern haben sogar ihr ganzes Laub verloren. Alle Gebäude wurden von der Strahlungsverseuchung betroffen. Und trotzdem sagen sogar danach die Behörden dem Volk nicht die Wahrheit über das Geschehene, verwandelnd es in ein staatliches Geheimnis, treffen keine Sicherheitsmaßnahmen, obwohl ein Teil der Bevölkerung der Stadt an der Strahlung stirbt. Und um die zerstörten Gebäude des „Majak” von der Strahlungsverschmutzung zu säubern, treibt man hierher Wehrdienstleistende und Häftlinge... Viele von ihnen verabschieden sich bald auch von der weißen Welt... So schreibt darüber ein ehemaliger Soldat, ein Liquidator Nikolai Iwanowitsch Panasenko:

„Als nach einem Jahr wahnsinniger Arbeit beim Zuschütten des Hypozentrums der Explosion, unser Regiment vor der Abfahrt nach Hause aufgestellt wurde, sagte der Oberst Sjuskin: „Liebe Genossen, Ihr habt eine große Sache für unsere Heimat gemacht. Ihr habt das Mögliche und Unmögliche gemacht, und Ihnen wird ein Jahr dieser Arbeit als fünf angerechnet, und in die Rente geht ihr mit Fünfzig. Die Heimat wird Euch, teure Genossen, nicht vergessen! „Ich bin 56, und alle, die mit mir damals, 1958 nebenan arbeiteten, sind schon gestorben. Kurz danach werde auch ich sterben, und gelebt habe ich nicht“.

(In: Nowosselow, W.Tolstikow. Das Geheimnis „Der Vierziger”. Jekaterinburg, 1995, S. 287.)

Die Atomexplosion 1957 verpestet nicht nur die Stadt, sondern auch sehr viele umliegende Dörfer und Siedlungen. Einige Menschen siedeln umgehend in andere, sichere Orte über, aber die die Mehrheit der Bewohner hat man einfach aufgegeben, da die Anzahl der Betroffenen von der Atomexplosion viele Tausende betrug. Die Soldaten des NKWD treiben nichts ahnende Dorfbewohner in spezielle Schuppen, wobei die Frauen und Männer getrennt werden. Man lässt sie sich nackt ausziehen und man bearbeitet sie aus dem Schlauch eines Feuerwehrautos mit Chlor, und die infizierte Kleidung verbrennt man hier... Das ganze ländliche Geflügel und das Vieh verjagt man in einer Herde auf gemütliche Waldwiesen, wo es erschossen, und dann in den Gruben vergraben wird. Den verwirrten Dorfbewohnern erklärt man nichts, so dass viele von ihnen durch das Geschehene einfach den Verstand verlieren... Einige erhängen sich sogar... Man erlaubt ihnen mit sich nichts aus dem Haus zu nehmen und direkt vor ihren Augen verbrennt man alle Häuser. Und Übersiedler bringt man auf eine “sichere” Entfernung fort und setzt sie an einem weiteren durch die Strahlung infizierten Ort ab und stellt Bretterhäuser auf. An den strengen Uralfrösten kommen viele von diesen Übersiedlern um, und fast alle Überlebenden sterben qualvoll an der Strahlung... Doch in den offiziellen Massenmedien werden Sie nichts über diese Ereignisse finden, und nur die wie durch ein Wunder am Leben gebliebenen Bewohner können über diese schreckliche Tragödie erzählen...

Sie kann man immer noch in den Dörfern nicht weit vom Kombinat „Majak“ treffen, die noch lebenden Opfer und die seltenen Zeugen des Verbrechens der Atomwissenschaftler des sowjetischen Regimes...

Bis heute galt die Stadt, nach dem Gesetz, als geschlossene Zone und lebt nach einem speziellen Regime, weil auf ihrem Territorium eine riesige Anzahl der Waffen der Massenvernichtung, der radioaktiven Stoffe aufbewahrt wird. Die Einfahrt in die Stadt wird für fremde Menschen nur von den Mitarbeitern des FSB in Moskau erlaubt, wobei die Menschen, die vorbestraft sind und andere verdächtige Bürger hierher nicht hereingelassen werden. Das Verlassen der Stadt soll auch nur an den in der Erlaubnis vermerkten Tagen stattfinden, andernfalls können die Personen, die diese Regel verletzten, auch verhaftet sein. In der Umgebung der Stadt sind die Aufnahmen mit der Video- oder Fotokameras verboten und bei Verstößen kann man auch verhaftet werden.

An den städtischen Toren steht die Wache. Wenn Sie in ihr einen Verdacht wecken, so können Sie aufgehalten und durchsucht werden. Mit einem Computer prüft man alle Verwandten bis zu dem siebenten Glied. Die Stadt Osersk liegt auf einer Halbinsel, sie ist fast von allen Seiten vom See Irtasch, wie von einem Meer umgeben. Nach den Worten der Augenzeugen, sind auf dem Grund des Sees elektrische Leitungen gelegt, das heißt es ist unmöglich zum „Majak” auf dem Wasserweg zu kommen. Die Ränder der Stadt, die an das Festland grenzen, sind vom hohen Steinzaun umgeben, und darüber läuft der Strom unter der hohen Spannung... So wird hier das Staatsgeheimnis über die Atomwaffen hinter vierzig Schlössern aufbewahrt. Àch, wenn sich der Staat so um die Gesundheit seiner Bürger kümmern und mit solcher Bemühung die Umwelt beschützen würde!.. Doch stehen in Russland an der ersten Stelle NICHT die Menschen, sondern die Waffen.

In diese geschlossene Stadt konnten wir erst gelangen nachdem wir die mehrmonatigen Prüfungen durch den FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) bestanden hatten. Als Anwälte der betroffenen Tataren waren wir beim dem gerichtlichen Prozess dabei. Es zeigte sich, dass in der Stadt um die achtzig Tausend Menschen wohnen, von denen sieben - acht Tausend Tataren sind. Unsere ungefähre Bestimmung der Anzahl Tataren in der Stadt wird einfach dadurch erklärt, dass keiner sich da auskennt und die genaue Zahl der tatarischen Bevölkerung wissen kann. In der Stadt Osersk wohnen und arbeiten sehr viele Tataren aus den umliegenden Dörfern und Siedlungen, einschließlich aus der Tatarischen Karabolka. Aus Mangel an irgendeiner anderen Arbeit, müssen Tataren in den Abteilungen der Unternehmen der Atomindustrie arbeiten. Doch gibt es in der Stadt für Tataren nichts, außer der schädlichen Arbeit, sie haben keine Möglichkeiten, in den tatarischen Klassen zu lernen, können keine Erlaubnis für den Bau einer Moschee bekommen. Und auf dem städtischen moslemischen Friedhof, der am Rand liegt, gibt es keinen Platz mehr für die neuen Begräbnisse, da es mit dem orthodoxen zusammengelegt wurde, und deshalb bringen jetzt die Tataren ihre Verstorbenen in die nächsten tatarischen Dörfer, um sie dort zu beerdigen. Gleichzeitig arbeitet hier für Russen das nationale Theater, es gibt Bildungseinrichtungen, eine Musikschule, eine musikalische Bildungseinrichtung, eine große Bibliothek, es gibt fünfzehn russische Schulen, fünf Fachschulen, ein College und eine Filiale eines Moskauer Instituts. Ungeachtet solchen hohen Niveaus der nationalkulturellen Versorgung, sind die Ergebnisse der Rauschgiftsucht hier fünfmal höher, als in dem Gebiet Tscheljabinsk. Nach den Angaben der Spezialisten, haben ungefähr 60-70 Prozente in der Stadt Osersk psychische Abweichungen. Es wird einem schlecht, wenn man darüber nachdenkt, dass sich in den Händen dieser psychisch Kranken und drogenabhängigen Menschen Uran-, Plutonium, die Atomproduktion und Tausende Tonnen nuklearer Abfälle befinden. In den Jahren der Perestrojka, als man in Russland begann, die Waffen der Massenvernichtung zu verringern, wurden beim „Majak” Finanzschwierigkeiten beobachtet. Jetzt, als man begonnen hat, die Atomabfälle aus der ganzen Welt hierher zu bringen, beginnt das „Majak”, wieder Fuß zu fassen. Das durchschnittliche monatliche Gehalt kommt hier sogar auf 50-60 Tausend Rubel, deshalb halten sich die Menschen an ihre Arbeit, ungeachtet der Todesgefahr im Betrieb. Doch bekommen die Arbeiter der staatlichen Sphäre der Stadt ein winziges Gehalt um die 600-700 Rubel im Monat. In allgemein, hinterlässt die Stadt einen tristen Eindruck. Genauer gesagt, hinterlässt sie den Eindruck der Übermacht von den Krankheiten... Weil es unmöglich ist gesund zu sein, wenn man auf den Atomabfällen von Milliarden Curie lebt. Obwohl die verkäuflichen Beamten das hiesige Leben paradiesisch schön zeigen wollen, erzählen einfache Bewohner etwas ganz anderes.

In den Straßen trifft man oft sehr magere, fast ausgetrocknete Krüppel, die ihre Beine kaum schleppen können. Es stellte sich heraus, dass hier zwanzig Prozent mehr Krebskranker sind, als durchschnittlich im Gebiet... Uns schien es, dass diese Zahl noch höher sein musste, da bei allen, mit wem wir über den Krebs sprachen, ihre nahen oder fernen Verwandten oder sie selbst krank waren... Die Strahlung und der Krebs sind in dieser Stadt, bei ihren Bewohnern für immer “angemeldet”. Die onkologische Krankheit und die Strahlung werden von hier nur mit dem Ableben des letzten Menschen oder dann verschwinden, wenn die Atomkatastrophe die ganze Welt verschluckt. Wie sich die offiziellen Behörden auch bemühten, es zu verbergen, die Menschen erfahren dennoch über die unter ihnen verbreiteten Krebserkrankungen von der Strahlung. Um genau zu sein, so sind fast alle Schöpfer der ersten Atombombe, einschließlich des Vaters der sowjetischen Atombombe I.W.Kurtschatow, an Krebs gestorben. Bis 1956 wurde in der Stadt solch ein strenges Regime eingeführt, dass niemand, der hereinkam, herauskommen konnte. Sogar die, die an Krebs und der Strahlenkrankheit stark erkrankten, durften nicht irgendwohin zur Behandlung verreisen... Wenn sie starben, beerdigte man sie nur auf dem Territorium der Stadt. Die onkologischen Geschwülste und die Strahlenkrankheit haben seit den ersten Tagen der Arbeit mit dem Uran begonnen, die Menschen zu verfolgen, weil die elementaren Maßnamen der Arbeitssicherheit nicht befolgt wurden, man trug sogar radioaktive Stoffe auf dem Kombinat in den Eimern.

Die Strahlungsabfälle wurden geradewegs in die Flüsse und die Seen abgeleitet. Erst dann, als die Bewohner der umliegenden Dörfer anfingen massenhaft zu sterben, hat man in Moskau verstanden, dass man sowie mit der Atombombe, als auch mit den uranradioaktiven Abfällen vorsichtig sein soll. Die Ärzte haben begonnen, die in dem „Majak Arbeitenden ständig zu untersuchen, fingen an, das Blut für die Analyse monatlich abzunehmen und die ersten Notizen über die Strahlung zu machen. In den Gruben der Zone des Atomreaktors sind Hunde erschienen, an denen man die Wirkung der atom-nuklearen Strahlung untersuchte. 1949 wird zum ersten Mal einem der Kranken die offizielle Diagnose gestellt: „Die Verstrahlung”, d.h. „Die Strahlenkrankheit“, aber später wurde den Ärzten verboten, solche Diagnose zu stellen und sie begrenzten sich auf allgemeine Diagnosen. In unseren Händen ist ein Buch mit dem Titel: „Das Plutonium in Mädchenhänden“. Darin wird über die Frauen erzählt, die in der Plutonium-Abteilung des chemisch-metallurgischen Werks des Kombinats „Majak“ arbeiteten. Man muss bemerken, dass in dieser Abteilung ausschließlich Frauen mit Hochschulbildung arbeiteten, die als erste von dem tückischen, heimlichen Sturmangriff des Atomuntieres erfasst wurden. Vierhundert Menschen von Anderthalbtausend, die im chemisch-metallurgischen Werk arbeiteten, standen auf der Liste der Verstrahlten, d. h. jeder vierte war krebskrank.

"In der ganzen Zeit der Arbeit im Werk gab es ungefähr 400 Menschen, bei denen Berufskrankheiten registriert wurden. Hauptsächlich waren es die Menschen, die im Werk 1949 - 1956 gearbeitet hatten. Jetzt, vierzig Jahre danach, ist nur die Hälfte noch am Leben. Die meisten sind im Alter von 40-45 Jahren gestorben. 54 Prozent von der Zahl der Verstorbener sind an den bösartigen Lungengeschwülsten, Tumoren der Leber und an dem Knochensarkom gestorben, das ist ein sehr hoher Prozent der Krebserkrankungen“.

(L.P. Sohina, N.S.Kolotinsky, T.W.Halturin. „Das Plutonium in Mädchenhänden“, Jekaterinburg, 2003, 135 S.).

Auf solche Weise, sind viele von den Schöpfern der ersten Atombombe als Martyrer an Krebs gestorben, ohne fünfzig geworden zu sein. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch große Höhen erreicht, wurden mit dem Lenin-Orden, den staatlichen Prämien, den hohen ehrenvollen Titeln dekoriert, doch sie konnten nicht von den tückischen Krankheiten geheilt werden und lieferten ihre Nachfahren schrecklichen Krankheiten aus. Wie Sie sehen, stellt es sich heraus, dass nicht nur die Bewohner von Musljumowo und der Tatarischen Karabolka an Krebs und der Strahlung umkommen, sondern diese geheime Krankheit des Jahrhundertes auch in die höchsten Ebenen gelangt, wo sie beginnt, die Beamten auszurotten. Vor kurzem ist der Generaldirektor des „Majak” Fetisow, ohne fünfzig geworden zu sein, in schrecklichen Qualen an Krebs des Gehirns gestorben... Es ist schon der vierte Generaldirektor in der Liste, der an der Verstrahlung starb. Nichts konnte diese Krankheit aufhalten - weder hohe Steinzäune mit dem Strom, noch Milliar-den darauf verschwendeter Gelder, noch die Wissenschaftler, die die wie Fliegen sterbenden Bewohner des Dorfes die Tatarische Karabolka beobachteten... Diese tückische Krankheit, die mit dem Atom, mit dem Uran und den radioaktiven Abfällen verbunden ist, kann einen beliebigen Menschen jederzeit finden und umlegen. Und sie hat schon viele gefunden... In der Zukunft wird die Menschheit vor der unvermeidlichen Frage stehen: was ist notwendiger - die Atomindustrie, die Atomwaffen, die Atomkraftwerke oder die Gesundheit des Menschen? In den Regionen, die mit den Atomunternehmen verbunden sind, beträgt die Dauer des Menschenlebens nicht mehr als fünfundvierzig Jahre, die Sterblichkeit übertrifft die Geburtenzahl doppelt, es herrschen der Krebs und die Krankheiten, die mit der Strahlung verbunden sind. In der Zukunft erwartet das die ganze Menschheit. Deshalb kann ich auf keine Weise gespielte Ruhe und den lauten Patriotismus einiger Bewohner von Osersk verstehen und akzeptieren. Denn sie behaupten, dass ihnen angeblich nichts droht... Es ist das Ergebnis der großen, starken propagandistischen Tätigkeit des „Majak” und der offiziellen Behörden der Stadt, und ihrer Hoffnungslosigkeit. Es ist interessant, wie man so idiotisch ruhig, froh und zufrieden sein kann, indem man auf der “Truhe” der Atomabfälle von zwei Milliarden Curie sitzt und auf den baldigen Eingang von noch zwanzig Tausend Tonnen der Atomabfälle wartet, wenn in der nächsten Nähe ein Atomkraftwerk gebaut wird, wenn man, vereinfacht formuliert, auf einer Atombombe sitzt?! Eigentlich hätte man das Kombinat „Majak“ sofort nach dem Unfall 1957 schließen müssen. Wenn man damals dem Volk die Wahrheit gesagt und einen klugen Beschluss gefasst hätte, wäre es möglich, dass auch Tschernobyl nicht passiert wäre. Wie konnte man nur von den Menschen solch eine schreckliche Gefahr, solch eine Katastrophe verbergen?! Jetzt leiden an den Folgen der Explosion von 1957 am meisten die Stadtbewohner, die Arbeiter des Kombinats „Majak“. Und mit dem Beginn der Epoche der Perestrojka hätten sie als Erste die Frage über die Schließung des „Majak” und über die Einführung einer lebenslangen Auszahlung der Entschädigung aller Arbeiter des „Majak” und der Bewohner der Stadt gestellt. Ein Mensch ist ja verpflichtet, darüber nachzudenken, warum er in diese Welt gekommen ist, was er hinterlassen wird und wie man die Folgen der von ihm verursachten Katastrophe beseitigt! Irgendwann soll ja an erster Stelle die Sorge um die Gesundheit, um die Seelenruhe des Menschen sein!

Um sich die Zukunft der Arbeiter des Kombinats „Majak“ und der Stadtbewohner Osersk vorzustellen, werden wir das nachfolgende kleine Fragment aus dem Buch von Wladislaw Larin „Das Kombinat „Majak“ ein Problem für Jahrhunderte“ anführen :

„1973-1982 blieb das Niveau der Erkrankungshäufigkeit an Krebs 3-5-mal (in der kleinen Gruppe der Frauen von 60-69 Jahren - 10-mal) höher als die entsprechenden Ergebnisse der übrigen Bewohner von Tscheljabinsk - 65. In der Rangordnung bösartiger Neubildungen nahm nach wie vor den ersten Platz der Lungenkrebs ein: bei den Männern - 38,7 %, bei den Frauen - 17,5 %; den zweiten - der Krebs des Magens bei den Männern 16,0% und der Krebs der Leber bei den Frauen 15,0 %; den dritten - der Hautkrebs bei den Männern und den Frauen (13,5 % und 12,6 %).

Es wurde eine Verbindung der Häufigkeit des Lungenkrebses mit der Größe der Dosis von dem in den Organismus geratenem Plutonium festgestellt. In den letzten Jahren ist eine Tendenz zum Wachstum der Zahl der Erkrankungen an Krebs der Leber und der Bauchspeicheldrüse registriert. (Moskau, 2002, S. 211)

Das heißt das Plutonium, DAS DAS HAUPTPRODUKT des Kombinats „Majak“ ist, dringt in den menschlichen Organismus mit der Luft, dem Wasser, mit der Nahrung und wird hauptsächlich in der Leber (dreißig Prozent) und in den Knochen (fünfzig Prozent) allmählich angesammelt, wobei es sie zerstört. Die vollständige Ausfuhr des Plutoniums aus den Menschenknochen dauert 1500 Jahre!!! 

In der Stadt Osersk und im „Majak”, und auch in seiner Umgebung sind überall die Strahlung, die Atomabfälle, das Plutonium, das Strontium... Beim ersten Anblick wirkt die Stadt sehr sauber und schön, aber dahinter ist die unsichtbare Gefahr - die Strahlung - verborgen... In diesen schönen Seen schwimmen blinde Fische vom menschlichen Wuchs, und in den Wäldern wachsen überdimensionale Beeren und Pilze - das alles wird von den Bewohnern gegessen... Und die Menschen leben unter diesen Bedingungen... Die Wissenschaftler aus Tscheljabinsk schreiben die Arbeiten zum Thema „Der positive Einfluss der Strahlung auf den Organismus des Menschen“... Der Betrug, die Verblendung durch den Glanz der Retorik, die Gehirnwäsche an den Menschenwerden fortgesetzt...

Der relative Komfort und die Ordnung in der Stadt ruft bei vielen eine künstliche Ruhe hervor. Ja, hier sieht man keine umherwandernden Landstreicher und Zigeuner auf den Straßen, weil es ihnen verboten ist, die Stadt zu betreten. Es ist die Einfahrt für alle geschlossen, die vorbestraft sind. Deshalb bemühen sich die Rauschgiftsüchtigen, deren Anzahl (im Prozentverhältnis) fünfmal größer ist, als in dem Gebiet Tscheljabinsk, den Behörden nicht in die Hände zu geraten, weil sie nach der Verurteilung nie mehr zurückkehren könnten. Deshalb werden viele Verbrechen in den Häusern hinter den eisernen Türen begangen. Infolgedessen sind viele Stadtbewohner, einschließlich mehr als die Hälfte Beschäftigter im Kombinat „Majak“ psychisch Kranke. Die Krankheit, die Verzweiflung, der ununterbrochene Zustand der Sorge beeinflusst ihre Psyche negativ... Aber in den Händen dieser Menschen sind die Atomreaktoren... Dies schreibt über einige Krankheiten der Arbeiter des „Majak” und anderer Betriebe des Atomministeriums eine Ökologin aus Tscheljabinsk, Kandidatin der physisch-mathematischen Wissenschaften Swetlana Luchitsch:

„... In den chemisch-metallurgischen Werken des Ministeriums der Russischen Föderation für die Atomenergie sind um die zwei Tausend Träger des Plutoniums mit seinem erhöhten Inhalt im Organismus registriert, und ein direkter Zusammenhang zwischen dem Plutonium und der Erkrankung an Lungenkrebs bewiesen. In der Rangordnung der Berufskrankheiten der Arbeiter des Atomministeriums nehmen sich 58 % die Krankheiten ein, die von der Einwirkung der radioaktiven Stoffe herbeigerufen sind. In den letzten fünf Jahren hat das Wachstum der Erkrankungen an bösartigen Neubildungen solcher Arbeiter 28 % betragen, Dabei hat die Zahl der Krankheiten, die zum ersten Mal im vorgeschrittenen Stadium festgestellt werden, stark zugenommen. Bei den ärztlichen Untersuchungen werden diese Krankheiten selten rechtzeitig festgestellt. Die primäre Erkrankungshäufigkeit an den psychischen Verwirrungen unter den Beschäftigten bei einer Reihe der Unternehmen des Atomministeriums hat in den letzten Jahren 50 % zugenommen. Dadurch wächst das Risiko der Entstehung der Notzustände in den besonders gefährlichen Unternehmen, die vom Personal verursacht werden. Es sinkt die Dauer der Berufstätigkeit des hochqualifizierten Personals. Bei 80 % der Arbeiter wird die Entwicklung sekundärer Immundefizite festgestellt, die den Verlauf Berufskrankheiten erschweren. Die Verbreitung der angeborenen Abnormitäten unter den Kindern im Alter bis zu 14 Jahren, die in den geschlossenen Städten leben, übertrifft um das Doppelte das Ergebnis in Russland".

(S.I. Luchitsch. "Die populären Gespräche über die Ökologie". Tscheljabinsk, 2000, S. 54.)

Wir, Tataren, sind ein Volk, das 450 Jahre in den Krallen des russischen Imperiums lebte und kennen sehr gut das Maß der Tücke des Imperiums und seiner Missetaten. Jeder in diesem Land verbrachte Tag ist ein endloser Kampf um das Leben, um die Muttersprache, den Glauben, die Freiheit und die Gesundheit. Als erste haben die Tataren das Kombinat „Majak“ verklagt, indem sie der ganzen Welt die ungeheuere Gefahr dieses Unternehmens für Schicksal der Menschheit gezeigt haben.

Ja auch ausgerechnet heute sind es TATAREN, die mit der Regierung Russlands und Kombinat „Majak“ prozessieren und die Befriedigung ihrer Menschenrechte auf die Kompensation der von der Strahlung geschädigten Gesundheit fordern. Vorläufig haben sich fünf tatarische Frauen an das Gericht mit der Forderung gewendet, ihnen den Status der Liquidatoren, die von der Strahlung gelitten haben, zurückzugeben. Aber in der Zukunft wird es fünfzig, fünfhundert sein... Noch Tausende, Millionen solcher Opfer, und nicht nur Tataren, sondern auch die Menschen anderer Nationalitäten, die eine chronische Erkrankung bekommen haben, werden unbedingt mit der russischen Regierung prozessieren, um ihr Recht zu bekommen. Vorläufig sind es fünf - ISMAGILOWA Gulschahra, ABDRAHIMOWA HATIFA, SAIFULLINA MARSIA, GALIULLINA GULSAIRA, ABDULLINA SEMFIRA. Einige von ihnen sind sechzig, andere etwas älter als fünfzig, aber sie sind alle an Krebs krank. Alle diesen Frauen sind in der Tatarischen Karabolka geboren und aufgewachsen, nach der Explosion 1957 auf dem „Majak” nahmen sie an der Liquidierung der Strahlungsverschmutzung teil und wurden mit einer unheilbaren Krankheit angesteckt. Und doch bringt dann das Schicksal viele von ihnen in diese Stadt Osersk, wo sie nach ihrem Berufsleben in den Ruhestand gehen. Übrigens, haben sie vor fünf Jahren, per Gericht schon den Status der Liquidatoren bekommen, aber die Verwaltung des Gebietes Tscheljabinsk wollte diesen kranken Frauen gar nicht nicht helfen, und hat ihnen durch eine weitere Instanz ihren Status des Liquidators entzogen. Wohin sie auch schrieben, an wen sich nur diese Frauen im Laufe von den letzten fünf Jahren auch wendeten, schickt sie die Verwaltung weg. Und dann waren sie, die hinter den Uralbergen Tausende Kilometer von Tatarstan entfernt leben, gezwungen, sich um Hilfe an ihr tatarisches Volk zu wenden, an den Präsidenten Tatarstans und einen Brief an die Adresse des Weltkongresses der Tataren zu schreiben. Und da verstanden schon bei dem letzten Gericht in Gebiet Tscheljabinsk alle im Saal bestens, dass hinter diesen fünf tatarischen Frauen das ganze tatarische Mehrmillionenvolk und Tatarstan steht. Nein, wir verbargen auch den politischen Beweggrund und die Ausrichtung dieses Verfahrens nicht und haben offen, ohne Umschweife die russische Regierung des Atomgenozids gegen Tataren, gegen das tatarische Volk beschuldigt.

Die Rede der Juristin des Weltkongresses der Tataren, der Anwältin Rosa FARDIEWA beim Gericht in der Stadt OSERSK (den 30-31. Juli 2003):

- Wir treten hier im Namen des Weltkongresses der Tataren auf, wir bemühen uns immer, Tataren zu helfen, wo sie auch wohnen. An uns, an Tatarstan haben sich die durch die Strahlung betroffenen Stadtbewohner von Osersk und des Dorfes die Tatarische Karabolka gewendet und um Hilfe gebeten. Wir fuhren vor Ort, studierten diese Frage mehrmals. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass viele Menschen in der Tatarischen Karabolka an Krebs gestorben sind, was mit der Strahlung direkt verbunden ist. Bis jetzt hat das Dorf das hohe Niveau der Strahlung. Aber das Schrecklichste daran ist, dass man den Menschen, insbesondere den Tataren nicht die Wahrheit gesagt hat: Die Bewohner aller umliegenden russischen Dörfer wurden im Laufe von drei Monaten in sichere Orte umgesiedelt, und die tatarischen Dörfer, zusammen mit allen Bewohnern, ließ man in toter Strahlungszone. Das Dorf die Tatarische Karabolka fehlt jetzt noch auf den Karten, aber es ist in Wirklichkeit nirgendwohin übersiedelt worden. Wir haben das volle Recht, zu erklären, dass „an diesen Tataren Atomversuche“ durchgeführt wurden. Und man kann es wie den Genozid in Bezug auf das tatarische Volk bewerten. Der Staat benutzte diese Tataren, die heute vor dem Gericht sitzen, von der frühesten Kindheit an zu seinen eigennützigen, tückischen Zwecken... Und jetzt bringt er sie um. Sie sind doch alle krebskrank. Statt die Betroffenen zu schützen, verwandelte sich das Gebietskomitee des sozialen Schutzes in ein Straforgan, das die Liquidatoren kaputtmacht. Wir halten es für eine ungeheure Ungerechtigkeit und wir bitten das Gericht, zugunsten der Menschen, die an der Strahlung gelitten haben, zu entscheiden. Die Regierung ist ihnen tausendfach dafür verpflichtet, weil sie sie der sicheren, wolkenlosen Kindheit, der Jugend, der Gesundheit und überhaupt des Lebens beraubt hat! Ich glaube, dass heute der Staat fähig ist, seine Fehler ein wenig zu korrigieren und deshalb wird das heutige Gericht ein Urteil zu Gunsten dieser Menschen fällen. So ist es auch in Wirklichkeit geschehen...

Die Richterin der Stadt Osersk Zarkowa Ludmila Konstantinowna hat das Urteil zu Gunsten von fünf tatarischen Frauen, die an der Strahlung gelitten haben, gefällt. Viele weinten vor Freude, als sie diesen Beschluss vernahmen. Nichts war umsonst, was in diesen schweren Jahren des Kampfes gemacht wurde.

Das Wichtigste war, dass die Gerechtigkeit wenn auch nur für einen Augenblick, direkt im Herzen des Atomdrachen TRIUMPHIERTE!!! Natürlich, können sie, die Beamten aus Tscheljabinsk und Moskau, diesen Rechtsspruch revidieren, können wieder die Tataren verfolgen. Aber wenn die Sache solche Wendung nehmen wird, so wenden wir uns durch den Weltkongress der Tataren an das internationale Gericht und an die internationale Öffentlichkeit! Wir werden der ganzen Welt beweisen, dass Tataren in der Not nicht einsam sind, sie sind bereit, einander zu helfen. Keiner soll vergessen, dass heute hinter den verfolgten Tataren, wie ein riesiger Felsen, das ganze Tatarstan, das ganze tatarische Mehrmillionenvolk steht. Die ganze internationale Öffentlichkeit wird, wenn sie davon erfährt, auch die von der Strahlung betroffenen Tataren schützen!

Zu ihrer Zeit wird sich die Regierung Russlands nicht nur für den fünfzigjährigen Atomgenozid, sondern auch für die fünfhundertjährige Unterdrückung des tatarischen Volkes verantworten müssen…

Ade, die Stadt der Atomwissenschaftler, der schrecklichste und von der Strahlung am meisten verschmutzte Ort!

Leben Sie wohl, Freunde und Landsleute, die zu leben in diesem ungeheueren Rachen des Drachen gezwungen sind! Das russische Imperium hat Ihr Leben in eine Hölle verwandelt. Ihr heutiger Zustand soll eine Lehre für die ganze Welt sein. Wenn wir nicht zusammen kämpfen werden, wenn wir ihm solche Möglichkeit geben, so könnte das Imperium alle Völker in den Atomkessel werfen. Jeder, der diese Zeilen lesen wird, soll sich in die Lage der Bewohner der tatarischen Dörfer Musljumowo und die Tatarische Karabolka versetzen. Diese Tragödie, die Qual vom Krebs, der zu frühe Tod, dass Kinder als Krüppel zur Welt kommen, sogar die Unterbrechung der Nachkommenschaft vieler Menschen, das heißt, kann die Unterbrechung des Stammbaumes in ihrer Generation jederzeit auch mit Ihnen passieren. Vom Wettrüsten kommt das eigene Volk Russlands um. Wer WIRD DIESEN ATOM-WAHNSINN stoppen?!

Also, wir haben unsere Pflicht mit Ehre erfüllt. Wir fahren an den Uralseen und dem Wald vorbei, zur Chaussee „ Jekaterinburg-Tscheljabinsk“, lassen hinter uns die Stadt Osersk. Durch die Berührung mit der umgebenden Schönheit kommen die Tränen in die Augen, es ergreift den Geist, es bleibt der Atem von der jungfräulichen Anmut der Natur stocken! Die Birken, die uns während des ganzen Weges begleiteten, waren in ein blaues Leuchten eingehüllt, man hörte zauberhafte Töne... Auf dem blauen Himmelsgewölbe schwimmen, langsam schaukelnd, weiße, flaumige Wolken... Von weitem sehen die Uralberge feierlich und stolz zu uns herunter. Die Beeren und die Blumen gibt es hier ohne Ende... Diese Orte sind ein echter Paradieswinkel. Doch weißt du schon, dass unter dieser Erde die Industrie des Todes, die sich auf Dutzenden von Kilometern streckte, zehn Abteilungen des Kombinats „Majak“, Milliarde Curie der Atomabfälle...sind. Unter dieser wunderschönen er Erde ist das grenzenlose Atommeer, das sich Richtung Tscheljabinsks mit der Geschwindigkeit 80 Meter im Jahr unentwegt bewegt. .. Da stecken zwischen den Bäumen schwarze Röhre – die Schornsteine des „Majak”, als ob sie uns böse mit den Fäusten drohen... Diese, für den ersten Blick schönen Orte, sind die schmutzigsten, am meisten radioaktiv verpesteten Böden. Unweit von hier qualmt mit den Schornsteinen Karabasch, ein metallurgisches Zentrum - dort wächst sogar das Gras nicht, und die umliegenden Territorien werden als eine ökologisch gefährliche Zone bezeichnet. Bald können auch die Böden um das „Majak” in den Bestand dieser Zone aufgenommen werden... Im Süden des Gebiets Tscheljabinsk, in der Stadt Magnitogorsk fällt im Winter schwarzer Schnee, weil ihn in einen solchem Zustand die qualmenden metallurgischen Werke bringen... Auch Tscheljabinsk gilt in der ökologischen Beziehung als die schmutzigste Stadt Russlands, weil es an den Gasen sowohl an dem Rauch metallurgischer als auch der Militärwerke, am Schmutz der radioaktiven Abfälle erstickt... Darüber schreiben die Ökologen von Tscheljabinsk:

 „Nach den kosmischen Aufnahmen bildet die summarische Fläche der Verschmutzung mit den schweren Metallen, mit Radionukliden und technogenen Abfällen im Gebiet Tscheljabinsk 56 % des ganzen Territoriums des Gebietes“.

(S.I.Luchitsch. „Die populären Gespräche über die Ökologie“ - Tscheljabinsk, 2000, mit. 242).